Jedes fünfte Mädchen und jeder sechste Junge wird Opfer sexueller Gewalt. Ein breites Bündnis aus der Mitte der Gesellschaft fördert den Kinderschutz. Ein auf dem Laga-Gelände gepflanzter Baum soll nun zum Treffpunkt derer werden, die zur Wachsamkeit aufrufen.
Neuss – Rot, die Warnfarbe – bis hierhin und nicht weiter! Die Blätter des Rot-Ahorn „Somerset“ färben sich im Herbst scharlachrot. Es wird kein also Zufall sein, dass diese in Nordamerika beheimatete Pflanze ausgewählt wurde, als Herzensbaum auf dem Landesgartenschau-Gelände eine Botschaft zu verkünden. „Wir kämpfen gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, steht auf einem Schild daneben.
Der 18. November ist der Tag, an dem europaweit zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch aufgerufen wird. So auch in Neuss. Oberpfarrer Andreas Süß hatte die Idee, diesen Baum zu pflanzen und ihn am Gedenktag anzugießen und zu segnen; ein Gebet inklusive. Die Schirmherrschaft hat Ursula Platen übernommen, die städtische Beigeordnete für Jugend, Bildung und Kultur.
Knapp 50 Vertreter aus mehr als einem Dutzend Vereinen, Verbänden und Institutionen nahmen am Dienstag teil und spendeten Beifall als Süß davon sprach, „heute eine Tradition“ begründen zu wollen: Künftig werde sich das Bündnis für Kinderschutz immer am 18. November an diesem Rot-Ahorn treffen. Die Aktion wird von Annette Nothnagel (LaGa GmbH) und Sandra Maria Breuer (Mitmachverein Grünes Herz) unterstützt.
Mit ihrer Ansprache wollte Ursula Platen ihre „Stimme für die Opfer erheben, die oft über Jahre und Jahrzehnte hinweg im Stillen leiden“. Der 18. November erinnere an eine der „dunkelsten Seiten unserer Gesellschaft, ein Verbrechen, das keine nationalen Grenzen kennt.“ Allein im Vorjahr seien 18.000 Kinder als Opfer von sexualisierter Gewalt registriert worden. Diese Zahl sei das „Hellfeld“. Das sind die Fälle, die zur Anzeige gebracht wurden. „Die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher“, sagte Platen.
In Neuss, so Platen, habe sich mit der Innenstadt ein neuer Schwerpunkt herausgebildet, an dem Kinder und Jugendliche besonders gefährdet sind: Die Zahl obdachloser Kinder steigt! Die Stadt Neuss beteilige sich gemeinsam mit der Stadt Köln an einem Pilotprojekt und arbeite an der Erstellung eines Kinderschutz-Entwicklungsplans mit: „Unsere Wege müssen einfacher und kürzer werden!“ So warb die Schirmherrin für ein Mehr an Prävention in allen Lebensbereichen, „von Familien über Schulen bis hin zu Sportvereinen“.
Genau so ein breites Bündnis aus der Mitte der Gesellschaft hatte Oberpfarrer Andreas Süß zusammengetrommelt: neben der Verwaltung vor allem Schützen und Karnevalisten, aber auch Vertreter der Sportvereine, der (Musik-)Schulen, der Kitas, des Kinderschutzbundes, der Bürgergesellschaft und der Michael-Holm-Stiftung.
Natürlich engagieren sich auch die Kirchen, die evangelische, die orthodoxe und die katholische. „Wir bieten Hilfe an“, sagte Süß, „wir mussten leidvolle Erfahrungen als katholische Kirche machen.“ Wie Süß, so sieht sich auch Pastor Sebastian Appelfeller von der evangelischen Kirche in der Pflicht: „Besser eine Schulung zu viel als zu wenig!“ Er erinnerte daran, dass in Neuss ein polizeiliches Führungszeugnis nicht zwingend Geld kosten müsse, weil die Stadt die Gebühren übernimmt, wenn das Dokument für eine ehrenamtliche Aufgabe bei einer gemeinnützigen Organisation erforderlich ist.
In einer kurzen Informationsrunde im Rathaus wurde deutlich, wie viele Angebote es in der Stadt schon gibt – oft sind sie nicht bekannt oder die Schwelle, Hilfe zu suchen, ist zu hoch. Kinderschutzbund-Chefin Jutta Stüsgen verwies auf das (anonyme) Kindertelefon, Schulleiter Stefan Kremer (Gymnasium Norf) sieht „hochprofessionelle Teams“ im Schulbereich und bei den Jungschützen, und Michael Holm (Stiftung) versicherte: „Wir helfen diskret und direkt!“ Frank Buchholz, Vizepräsident beim Rheinischen Schützenbund, sagte: „Kinder- und Jugendschutz wird bei uns gelebt. Aber wir müssen noch breiter kommunizieren, um Mut zu machen, dass wir auch angesprochen werden.“


