Bun­des­fest Neuss 1955

Carlo Schäfer | 20. März 2015

Bun­des­fest Neuss 1955

Bun­des­fest in Neuss am 1. und 2. Okto­ber 1955

 

3. Bun­des­fest 1. und 2. Okto­ber 1955

Es war nach dem Zwei­ten Welt­krieg erst das dritte Bun­des­fest, das die his­to­ri­schen deut­schen Schüt­zen­bru­der­schaf­ten gemein­sam fei­er­ten. Und doch – darin waren sich die Kom­men­ta­to­ren spä­ter einig – war es die bis dahin kraft­vollste Demons­tra­tion des Bru­der­schafts­we­sens. Nach Köln und Müns­ter kamen die His­to­ri­schen Schüt­zen am 1. und 2. Okto­ber 1955 in Neuss zusam­men, um einen Bun­des­kö­nig zu ermitteln.

Und die His­to­ri­schen Schüt­zen selbst waren höchst erstaunt von der Teil­nahme der Neus­ser Bevöl­ke­rung, die in gro­ßer Zahl das Fest des Bun­des ver­folgte. Bund aller­dings hieß der Zusam­men­schluß der Bru­der­schaf­ten damals noch nicht, er trug den Namen Zen­tral­ver­band. Die bei­den höchs­ten Reprä­sen­tan­ten, die auch nach Neuss kamen, waren der Hoch­meis­ter Fürst zu Salm-Reif­fer­scheidt-Dyck und der Gene­ral­prä­ses (heute Bun­des­prä­ses) Dr. Peter Louis aus Leverkusen.

 

Bun­des­kö­nig aus Bonn

 

Pünkt­lich um 13.00 Uhr begann am 1. Okto­ber 1955 der Schieß­wett­be­werb auf den Stän­den der Neus­ser Schei­ben­schüt­zen um die Würde von Diö­ze­san­kö­ni­gen und des Bun­des­kö­nigs. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg hatte der Lei­ter des Amtes für köl­ni­sches Brauch­tum, Dr. Joseph Klersch, dem Zen­tral­ver­band der Bru­der­schaf­ten den Vor­schlag gemacht, einen Bun­des­kö­nig ein­zu­set­zen. Was in jeder ein­zel­nen Schüt­zen­bru­der­schaft gelte, das solle auch auf Bun­des­ebene der Fall sein. So kam der Plan auf, aus den Köni­gen eines Jah­res einen Bun­des­kö­nig zu küren. Die über 1.400 Könige in den ein­zel­nen Bru­der­schaf­ten soll­ten um die höchste Würde wett­ei­fern. Da es die Zeit nicht erlaubte, daß alle Könige mit­mach­ten, so über­ließ man den letz­ten Aus­schei­dungs­kampf den soge­nann­ten Spit­zen­kö­ni­gen aus den Krei­sen und Bezir­ken. Das waren aber auch noch etwa 100 Könige. Auf einen Vogel wurde – ebenso wie heute – beim Bun­des­kö­nigs­schie­ßen nicht ange­legt. In Neuss wurde mit Klein­ka­li­ber geschos­sen, im Pro­gramm hieß es dazu: auf Scheibe, 50 Meter, ste­hend. Dabei erwies sich Heinz Bauer aus Bonn als treff­si­chers­ter Schütze, der ent­spre­chend gefei­ert wurde. Zur grü­nen Schärpe und der präch­ti­gen Kette des Bun­des­kö­nigs bekam er am Sonn­tag des Fes­tes noch das gol­dene Abzei­chen des Bun­des­meis­ters. Zu den Ritua­len eines Bun­des­fes­tes gehört nach dem Königs­schie­ßen auch die Über­gabe der Bun­des­stan­darte. Nach­dem die Stan­darte ein Jahr in Müns­ter auf­be­wahrt wor­den war, durfte sie nun für zwölf Monate in die Qui­ri­nus­stadt. Vor dem Zeug­haus über­gab der Neus­ser Bür­ger­meis­ter Schmitz, stell­ver­tre­tend für Ober­bür­ger­meis­ter Alfons Frings, die von Bun­des­kanz­ler Kon­rad Ade­nauer gestif­tete Stan­darte an den Bun­des­meis­ter des Bezirks Neuss, Lud­wig Krekeler.

Wie sehr die Bru­der­schaf­ten von Neuss begeis­tert waren, zeigt auch ein Blick in die Ver­bands­zeit­schrift der Bru­der­schaf­ten aus dem Jahr 1955. Damals berich­tete „Der Schüt­zen­bru­der“: „Das III. Bun­des­kö­nigs­schie­ßen des Zen­tral­ver­ban­des der his­to­ri­schen deut­schen Schüt­zen­bru­der­schaf­ten in der alten rhei­ni­schen Schüt­zen­stadt Neuss berech­tigte zu den bes­ten Erwar­tun­gen. Die bei­den Tage, 1. und 2. Okto­ber 1955, haben nicht ent­täuscht. Die Gesamt­feier war wirk­lich ein Höhe­punkt des Jah­res. Die Kund­ge­bung trug einen ganz ande­ren Cha­rak­ter als in Köln und Müns­ter. Die Über­gabe des Bun­des­ban­ners an die Stadt Neuss vor dem Zeug­haus und der fest­li­che Marsch zu den Schieß­stän­den waren neue Momente. Schon hier, um die Mit­tags­stunde des Sams­tags, zeigte sich die freu­dige Betei­li­gung der Neus­ser Bevöl­ke­rung, die am 2. Tage, dem Sonn­tag, zu einer gewal­ti­gen Sym­pa­thie-Kund­ge­bung her­an­wuchs. Auf den Stän­den der Neus­ser Schei­ben­schüt­zen stieg die rechte Sport­be­geis­te­rung. Die Spit­zen­kö­nige konn­ten ihre Span­nung nicht ver­ber­gen. Wie­derum war ihre Zahl höher gewor­den. Lang­sam nähert sich die Betei­li­gung dem Ziel, daß ein­mal alle Bezirke mit ihrem Spit­zen­kö­nig antreten.

Der Zug des neuen Bun­des­kö­nigs, Heinz Bauer aus Bonn, zeigte wie­der echte Neus­ser Schüt­zen­liebe. Die Stra­ßen waren von win­ken­den und Bei­fall klat­schen­den Men­schen besetzt. Rei­cher Flag­gen­schmuck über­all. Der Fest­akt im Zeug­haus erfolgte vor 500 ein­ge­la­de­nen Gäs­ten des Zen­tral­ver­ban­des. Nicht nur der neue Bun­des­kö­nig wurde geehrt, son­dern auch die fünf Diö­ze­san­kö­nige. Der Fest­akt im Zeug­haus war gleich­zei­tig auch der Will­kom­mens­gruß der Stadt Neuss an die Bruderschaftsschützen.

 

Hoch­meis­ter Fürst Salm-Reifferscheidt

Am Sams­tag­abend hatte es zudem noch eine Fei­er­stunde in einem Zelt gege­ben, das eigens für das Bun­des­fest errich­tet wor­den war. Dabei wandte sich Hoch­meis­ter Fürst Salm-Reif­fer­scheidt an die Schüt­zen, wobei seine Rede stark geprägt war von den Ver­hält­nis­sen des Jah­res 1955. Salm-Reif­fer­scheidt erin­nerte zunächst an die Vor­fah­ren, die zum „Segen für die Gesamt­heit“ tätig gewor­den seien, ent­we­der bei der Ver­tei­di­gung der Fami­lien oder der Hilfe für den Nächs­ten bei der Pest. Salm-Reif­fer­scheidt: „Wie jede Zeit ihre eigene Krank­heit hat, so geht auch heute der schwarze Tod unter uns um, der schlim­mer als damals, heute die Seele frißt und sie end­gül­tig und ewi­gem Tode über­ant­wor­tet. Nicht von unge­fähr geht von uns Schüt­zen­bru­der­schaf­ten der Ruf nach geis­ti­ger Wehr­haf­tig­keit aus, gegen Bol­sche­wis­mus, Kom­mu­nis­mus, Mate­ria­lis­mus und wie die Ismen alle hei­ßen mögen.“ Es komme daher auf die geis­tige Hal­tung an: „Du sollst den Herrn, Dei­nen Gott lie­ben – und Dei­nen Nächs­ten wie Dich selbst.“ Die Tracht der Schüt­zen sei ein Bekennt­nis, ein Ein­ste­hen für Glaube, Sitte und Hei­mat. „Aus die­ser sel­ben geis­ti­gen Hal­tung her­aus, ist unser Kanz­ler, auch ein Schüt­zen­bru­der, wie wir mit Stolz sagen dür­fen, in die Höhle des Löwen gegan­gen, wis­send, daß es sein schwers­ter Gang sei.“ (Salm-Reif­fer­scheidt meinte mit der Höhle des Löwen Mos­kau, das Ade­nauer 1955 besuchte. Dabei wur­den wei­tere Kriegs­ge­fan­gene aus rus­si­scher Gefan­gen­schaft ent­las­sen. Beide Län­der nah­men diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen auf).


Dr. Fle­cken als Protektor

  Als Pro­tek­tor des drit­ten Bun­des­kö­nigs­schie­ßens hat­ten die Bru­der­schaf­ten eine Neus­ser Per­sön­lich­keit gebe­ten. Es war Dr. Fle­cken. Daß er gleich­zei­tig auch noch Finanz­mi­nis­ter des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len war, war für die Bru­der­schaft außer­dem noch eine Ehre. Und so über­brachte Fle­cken nicht nur die Grüße der Lan­des­re­gie­rung, son­dern auch die Wün­sche der Neus­ser Hei­mat­freunde, deren Vor­sit­zen­der er war. Außer­dem hatte Fle­cken als Vize­prä­si­dent des Bür­ger-Schüt­zen-Komi­tees auch noch die Grüße der Neus­ser Schüt­zen im Gepäck. Als Pro­tek­tor hatte er aber auch noch etwas ande­res mit­ge­bracht. Damals war es Brauch, daß der schei­dende Bun­des­kö­nig vom Pro­tek­tor der Stadt, in der das fol­gende Bun­des­fest ver­an­stal­tet wurde, eine Erin­ne­rungs­kette bekam. Fle­cken über­reichte die von ihm gestif­tete Kette an den Vor­jah­res­bun­des­kö­nig Josef Becker. Diese Kette zeigte auf einer Pla­kette den Neus­ser Stadt­pa­tron Qui­ri­nus. Als Anhän­ger war das Neus­ser Stadt­wap­pen hin­zu­ge­fügt. Für die übri­gen Schüt­zen hatte der Minis­ter aus Neuss noch eine beson­dere Über­ra­schung parat: die zweite Stro­phe des Lie­des „Neuss am Rhein – Die Stadt“: Und ein­mal in jeg­li­chem Sommer/paradiert Dein Regiment/mit Man­nen, Kano­nen und Fahnen/und so, wie es nie­mand sonst kennt,/mit Jubel und Lachen und Freude/ und über­mü­ti­gem Scherz/in Gleich­klang pul­sen­den Schlages/aus einem ein­zi­gen Herz -/ So lebst Du in uns, Dei­nen Kindern,/ auf ste­tig erneu­er­tem Blatt,/ mein Neuss, seit Urvä­ter Tagen/als rhei­nisch fröh­li­che Stadt.


Dr. Franz-Josef Wuermeling

Als drit­ter Red­ner des Abends stellte sich Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­ter Dr. Franz-Josef Wuer­me­ling (CDU) vor. Wuer­me­ling stellte sich nicht nur als Minis­ter, son­dern vor allem als Schüt­zen­bru­der der Sebas­tia­ner aus Linz am Rhein vor. Den Mit­tel­punkt sei­ner Rede bil­dete die „Fami­lie als Lebens­quell der Schüt­zen­bru­der­schaf­ten“, was er vor dem Hin­ter­grund der dama­li­gen Zeit interpretierte.

Joseph Kar­di­nal Frings

Das größte Inter­esse der Neus­ser und der Schüt­zen aus den zahl­rei­chen Bru­der­schaf­ten galt aber dem letz­ten Red­ner des Fest­abends. Wie begeis­tert er auf­ge­nom­men wurde, zeigt wie­der ein Blick in die Ver­bands­zeit­schrift des Bun­des „Der Schüt­zen­bru­der“: „Als letz­ter Red­ner des Abends nahm dar­auf der Erz­bi­schof von Köln, Kar­di­nal Frings, der schon beim Betre­ten des von Schüt­zen, aber auch von Neus­ser Lands­leu­ten bis auf den letz­ten Platz besetz­ten Zel­tes stür­misch begrüßt wurde, das Wort zu sei­ner mit gro­ßem Bei­fall auf­ge­nom­me­nen Anspra­che. Es ist immer wie­der ergrei­fend und beglü­ckend zugleich, fest­zu­stel­len, wie sich beim Auf­tre­ten unse­res Kar­di­nals in der Öffent­lich­keit die gern gebo­tene Ehr­erbie­tung vor dem Kir­chen­fürs­ten und die nur ungern gedämpf­ten Aus­drucks­for­men der Liebe zum wahr­haft volks­tüm­li­chen Ober­hir­ten (Pro homi­ni­bus con­sti­tu­tus lau­tet sein Wahl­spruch) müh­sam die Waage hal­ten, bis schließ­lich doch die letz­tere siegt. So auch in Neuss bei der Begrü­ßung des Kar­di­nals, nach sei­ner Anspra­che und ganz beson­ders beim Ver­las­sen des Zel­tes, durch das ihn und die ande­ren Ehren­gäste, den alten und den neuen Bun­des­kö­nig, eine von brei­ten Men­schen­mas­sen gebil­dete Straße wie eine Via tri­um­pha­lis führte. Kar­di­nal Frings führte aus, daß er der Ein­la­dung des Zen­tral­ver­ban­des mit beson­de­rer Freude gefolgt sei. Zwar sei er nicht Schüt­zen­bru­der, doch fühle er sich als gebür­ti­ger Neus­ser  und als Ober­hirte der Diö­zese dem Hoch­feste eines gro­ßen Ver­ban­des von Män­nern, die sich der geis­ti­gen Wehr­haf­tig­keit im Dienste der Katho­li­schen Aktion ver­schrie­ben haben, eng verbunden.

 

Sonn­tag

Der eigent­li­che Fest­tag des Tref­fens war der Sonn­tag. Er stand im Zei­chen einer Pon­ti­fi­kal­messe auf dem Müns­ter­platz. Dort über­reichte Dechant und Dom­ka­pi­tu­lar Dr. Lied­mann die Königs­kette an den neuen Bun­des­kö­nig Heinz Bauer. Das Pon­ti­fi­kal­amt wurde zele­briert von Bischof Cob­ben aus Finn­land. Im Mit­tel­punkt der Fest­messe stand neben der Pro­kla­ma­tion des neuen Bun­des­kö­nigs eine Pre­digt von Gene­ral­prä­ses Dr. Peter Louis. Die Bru­der­schaf­ten hat­ten den Sonn­tag einem Ereig­nis gewid­met, das 1000 Jahre zurück­lag: die Schlacht auf dem Lech­feld bei Augs­burg, als Otto der Große die Ungarn bezwang. Die­ses Ereig­nis wurde damals als Ret­tung der abend­län­di­schen Chris­ten­heit gewer­tet. Louis machte deut­lich, daß es darum auch heute, 1000 Jahre spä­ter, gehe. Er rief zu geis­ti­ger Wehr­haf­tig­keit auf, damit das Chris­ten­tum letzt­lich obsiege über Mate­ria­lis­mus, Mar­xis­mus und Bol­sche­wis­mus. Inso­fern war das Neus­ser Bun­des­fest auch eine poli­ti­sche Demons­tra­tion. Denn die Bru­der­schaf­ten, die sich jeg­li­cher par­tei­po­li­ti­scher Wer­bung und Aus­sage ent­hal­ten wol­len, mach­ten in Neuss ihre Ableh­nung des kom­mu­nis­ti­schen Regimes deut­lich, das sich auch im Osten Deutsch­lands, und damit tief nach Europa hin­ein, eta­bliert hatte. Das Neus­ser Fest war auch ein Wer­ben um die Ein­heit Deutsch­lands. Denn wie sich vor 1000 Jah­ren bei der Lech­feld-Schlacht die deut­schen Stämme einig­ten, so sollte es nach Ansicht der Red­ner des Neus­ser Bun­des­fes­tes auch jetzt wie­der sein. Beson­ders deut­lich machte das der Bür­ger­meis­ter aus Augs­burg, Dr. Mar­tin, den die Bru­der­schaf­ten nach Neuss ein­ge­la­den hat­ten: „Wir haben in Augs­burg und über­all, wo man der Lech­feld­schlacht gedacht hat, nicht einen gro­ßen blu­ti­gen Sieg der Geschichte gefei­ert, nicht die Errin­gung der deut­schen Kai­ser­krone, nicht ein­mal die Grün­dung oder Fes­ti­gung des Rei­ches. Wir haben viel­mehr die Erin­ne­rung daran wach­ge­ru­fen, wel­cher Segen erwach­sen ist aus dem Einig­wer­den der Deutschen …“

So war das dritte Bun­des­fest der his­to­ri­schen deut­schen Bru­der­schaf­ten eine macht­volle Demons­tra­tion von Gemein­schafts­geist in schwie­ri­ger Zeit. Es war aber auch eine zutiefst poli­ti­sche Ver­an­stal­tung, weil den Schüt­zen­brü­dern auch ans Herz gelegt wurde, Stel­lung gegen Mar­xis­mus und Mate­ria­lis­mus zu bezie­hen. Dies aber mußte damals den in Neuss ver­sam­mel­ten Schüt­zen nicht extra gesagt werden.

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